Januar 7, 2024

Spiel

„Wenn wir zu spielen aufhören, hören wir auf, das Leben in all seinen Möglichkeiten zu erkunden. Und damit verspielen wir die Potenziale, die in uns stecken. Wer dem Leben nicht spielerisch begegnet, den erstickt es mit seinem Ernst.“

(Hüther/Quarch 2016: 17)

Mit der Schule beginnt der Ernst des Lebens, so wird noch heute oft behauptet. Das freie, ungezwungene Spiel aus der Kindheit scheint mit fortschreitendem Alter zunehmend in den Hintergrund zu treten, abgelöst vom Komplementärkonstrukt der ernsthaften Arbeit. Bei genauer Betrachtung erscheint das Spiel allerdings weitaus komplexer. Spielhandlungen bringen zum Ausdruck, „wie sich die Gesellschaft organisiert, Entscheidungen trifft, wie sie ihre Hierarchien konstruiert, Macht verteilt, wie sie Denken strukturiert“ (vgl. Gebauer/Wulf 1998: 192).

Für die Pädagogik ist das Spiel seit mehreren Jahrhunderten ein interessanter Gegenstand (vgl. Hauser 2013: 18). Aristoteles (384–322 v. Chr.) entdeckt im Spiel einen Gegenpol zur Arbeit, verbunden mit einem Erholungseffekt (vgl. ebd.). In seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen unterstreicht Friedrich Schiller (1795/2015) den Wert des Spiels für die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung des Menschen, für die Aneignung von Fertigkeiten beziehungsweise Fähigkeiten und außerdem für die Gemeinschaft. Er setzt den Spieltrieb sowohl mit Freiheit gleich als auch mit der Verbindung von sinnlich-äußerlichem und rational-innerlichem Trieb. Erziehungswissenschaftlich relevant ist hier das Spannungsverhältnis von Sach-/Stofftrieb und Bildungs-/Formtrieb.

„Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

(Schiller 1795/2015: 46)

Im 20. Jahrhundert wird der spielende Mensch vorrangig durch das Buch Homo Ludens von Johan Huizinga (1938/2015) zu einem verbreiteten Terminus in der jüngeren Vergangenheit. Wie Schiller so reklamiert auch er explizit die Freiheit für das Spiel. In seiner Theorie definiert Huizinga mit der Freiwilligkeit, der Abgeschlossenheit von Zeit und Raum, den bindenden Regeln, dem freudigen Spannungsmoment und dem Bewusstsein des Andersseins unterschiedliche, umfassende Merkmale (vgl. Huizinga 1938/2015: 37), welche allerdings nicht auf jedes Spiel in gleichem Maße zutreffen. In erster Linie hat das Spiel sein Ziel in sich selbst, ist also zweckfrei (vgl. ebd.), wie bereits zuvor Immanuel Kant (2009) konstatiert. Roger Caillois (1967/2017) greift Huizingas Gedanken auf und entwirft – abseits einer Allgemeingültigkeit für die Charakteristika von Spielen – die Begriffe Agon (Wettkampf), Alea (Zufall), Mimicry (Maskierung) und Ilinx (Rausch) als Hauptrubriken für die verschiedenen Spielarten (vgl. Caillois 1967/2017: 33 ff.). Mimicry stellt dabei die interessanteste Form für die performative Pädagogik dar, denn hier lässt sich „keine fortgesetzte Unterwerfung unter genau festgelegte und bindende Regeln beobachten“ (ebd.: 46). Julian Nida-Rümelin weist außerdem auf den Handlungsspielraum und die Selbstwirksamkeit im Spiel hin:

„Der homo ludens kann aus einem Spiel aussteigen, und er kann das Spiel modifizieren. Der homo ludens erfindet und legt Strukturen, er richtet sich nach den von ihm erfundenen und etablierten Regeln der Interaktion.“

(Nida-Rümelin 1995: 139)

Aus dem erziehungswissenschaftlichen Blickwinkel wird dem Spiel immer wieder der Lernaspekt sowie die Aneignung von Welt zugesprochen (vgl. Döring 2000; Fritz 2004; Kluge 1981; Mogel 1994; Oerter 1999; Pohl 2008; Scheuerl 1994).

Literatur:

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