April 2, 2022

Resonanz

„Resonanz steht auf dem Prüfstand der Wissenschaft. Resonanz kann man sehen und verstehen, man kann sie tatsächlich messen. Die Augen sind die zentralen Resonanzfenster. […] Man kann Resonanzbeziehungen darüber hinaus auch auf neuronaler Ebene sichtbar machen.“

(Hartmut Rosa in Rosa & Endres, 2016, S. 28f.)

(Quelle: pixabay)

Die entscheidende Prägung für seine individuelle Weltbeziehung erfährt der Mensch in der Schule. Hier erfolgt – nach/neben der Sozialisation im familiären Bereich – die reflexive Auseinandersetzung mit der Welt anhand von Anerkennungs- und Distinktionsprozessen (Rosa, 2016, S. 402f.). Bereits Kinder erleben teilweise sehr bewusst, wie ungleich Bildungschancen verteilt sind. Um Missstände in die öffentliche Diskussion zu bringen und weiterführend zu beseitigen, können Leistungsmessungen genutzt werden. Grundlage ist eine sinnvolle Interpretation der erhobenen Daten (Schlömerkemper, 2014, S. 318). Der Resonanzbegriff des Soziologen Hartmut Rosa (2016) zielt weniger auf geforderte Kompetenzen, als vielmehr auf Anverwandlung ab.

„Die Betonung von Kompetenzen fördert die Beschäftigung mit dem Antwortschema richtig-falsch. In einer Resonanz-beziehung geht es aber mehr um den Prozess des Anverwandelns. Ich ringe mich mit einem Stoff ab, er bedeutet mir etwas. Dabei kann es sogar passieren, dass ich über einen Vers stolpere, der bei mir eine Gänsehaut auslöst.“

(Hartmut Rosa in Rosa & Endres, 2016, S. 79)

Glückt die Anverwandlung im komplexen Dreieck zwischen Lehrenden, Lernenden und dem Stoff entsteht ein „Resonanzraum“ (Rosa, 2016, S. 408), andernfalls ergibt sich eine „Entfremdungszone“ (ebd.). Resonanz und Entfremdung verhalten sich entsprechend dichotom zueinander und bilden zwei Seiten einer Medaille. Um in Beziehung zu treten, Resonanz zu schaffen, dafür braucht es im Klassenzimmer sowohl die Stimme der Lehrkraft, als auch die der einzelnen Schülerinnen und Schüler. Noch viel mehr Pädagog:innen könnten sich aktiver, mit ihrer Stimme, in die Qualitätssicherung und Evaluation einbringen und dieses Engagement als Teil ihrer Professionalisierung begreifen – im Gegensatz zur kategorischen Verweigerung von administrativen Verfahren (Schlömerkemper, 2014, S. 320). Auf der anderen Seite „geht das Modell des modernen, kunden- und effizienzorientierten, ständig konkurrierend um Qualitätsentwicklung etc. bemühten Lehrers (New Professionalism) in entscheidenden Teilen an der tatsächliche [sic] Situation des Lehrerberufs in seiner ganzen Breite vorbei“ (Terhart, 2011, S. 215). 

Wenn die Routinejobs nach und nach durch technologische Innovationen ersetzt werden und das weltweite Bildungssystem möglichst viele Lernende für hochqualifizierte Stellen hervorbringen soll (Trilling & Fadel, 2009, S. 9), dann stellt sich die Frage, ob dadurch die Bildungsexpansion verstärkt wird und letztendlich der scharfe Bumerang der meritokratischen Logik auf den Arbeitsmarkt zurückkommt. Wir lernen schließlich nicht für die Schule, sondern… Ja, für wen oder was eigentlich: Für ein besseres Leben? Das Überleben? Die spätere Arbeitsstelle?

Kinder werden häufig schon ab der ersten Klasse von vielen Seiten mit dem „Ernst des Lebens“ konfrontiert. In diesem Zusammenhang stellen sich die Fragen: Ist Schule tatsächlich ein begrenzter Raum, in dem Wissen vermittelt und Fächer unterrichtet werden? Wo gibt es darüber hinaus die Spielwiese, auf der die natürlich-ursprüngliche Neugierde befeuert, persönliche Entwicklung ermöglicht und eigenständig entdeckt werden darf, was die Welt im Innersten zusammenhält? Oder sind das romantische Bildungsträume, die in der heutigen Realität keinen Platz mehr haben (dürfen)? 

Literatur:

Rosa, H. (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp.

Rosa, H. & Endres, W. (2016). Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert (2. Aufl.). Beltz.

Schlömerkemper, J. (2014). Leistungsmessung und die Professionalität des Lehrerberufs. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen (3. Aufl., S. 311–321). Beltz.

Terhart, E. (2011). Lehrerberuf und Professionalität: Gewandeltes Begriffsverständnis – neue Herausforderungen. Zeitschrift für Pädagogik, 57(1), 202–224.

Trilling, B., & Fadel, C. (2009). 21st century skills. Learning for life in our times. Jossey-Bass.

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