November 22, 2022

Jörg Hube

„Mich interessieren die Eigenbrötler, die Eigensinnigen. […] Wir brauchen sie, die reflektierten Regelbrecherinnen, die konstruktiven Anarchisten, die Menschen, die Fragen stellen, die sich nicht immer sicher sind, die Lebendigen!“

Norbert Trawöger

Lebendig war er, ohne Zweifel. Und zugleich hochsensibel. Ihm wurden spontane Wutausbrüche nachgesagt, die einer Naturgewalt gleichkamen. Da zerfetzte bei der Theaterprobe schon mal ein mit jähzorniger Wucht abgefeuerter Apfel an der Wand im Zuschauerraum, knapp über dem Kopf des Störenfrieds. Jörg Hube trug den Eigensinn in sich und war als Schauspieler gleichermaßen Teil von Ensembles. Wer den Anarchisten jemals leibhaftig auf einer Bühne gesehen hat, wird dieses Erlebnis meist in lebhafter Erinnerung behalten. Unvergessen bleibt seine Darstellung in der Fernsehserie „Löwengrube“ und vor allem seine grandiose Kabarettfigur Herzkasperl. Der Erfolg seines Programms (anfangs mit Elisabeth Fanderl, später solistisch) zeichnet sich erstmal noch nicht ab: Die Premiere 1975 erhielt negative Kritiken und hatte nach eigener Aussage zu lange Texte, die Hube teilweise aus der Not heraus improvisierte, so dass er von Dieter Hildebrandt („Jörg spielte immer mit einer Wahrhaftigkeit, da wurde nichts hergestellt, er war die Figur mit Leib und Seele.“) und Werner Schneyder („Er war ein Ausnahmemensch in die verschiedensten Richtungen.“) hinter der Bühne wieder aufgebaut werden musste.

„Gestatten: Herzkasperl!

Hauptberuf: Schauspieler! Hanswurst!

Bin Totschläger und Sprüchemacher!

Seid’s alle da? Habt’s a Geld aa?

Da werden sie mir wieder so ne Mischpoke reingedrückt haben.

Und so was ist jetzt meine Existenzgrundlage!

Mi leckst am Arsch!“


(Demmelhuber, 2011, S. 7, zit. n. Jörg Hube)

Dr. med. Georg Ringsgwandl, selbst anarchistischer Musik-Kabarettist, über seine Begegnungen: „Jörg Hube war einer der besten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum und der einzige, der damit nie Geld verdienen wollte. […] Er konnte damit leben, nicht ständig in der Zeitung zu sein, mied die Welt der Schicken und Erfolgreichen. Ein Uneitler, der darüber lachen konnte, wenn eine gestolperte alte Frau, der er wieder auf die Beine half, zu ihm sagte: ‚Eahna kenn i doch vom Fernsehn, san Sie net der Herr Polt?‘ Er ließ es sich nicht heraushängen, was er konnte und was er schon geleistet hatte. […] Er spielte mit einer absolut ungewöhnlichen Ernsthaftigkeit und einer Überzeugungskraft. Peter Brook, […] sagte einmal, ein wirklich guter Schauspieler, eine wirklich gute Darstellung funktioniere überall, in der Fußgängerzone genauso wie in einem Bankwartesaal oder auf einer großen Bühne. Diese Kunst beherrschte Jörg“ (Demmelhuber, 2011, S. 84ff., zit. n. Georg Ringsgwandl). Auch für den mit Talent gesegneten Hube lief nicht alles glatt – er haderte mit dem Staatstheater-System und der selbstverschuldeten Unmündigkeit der Schauspielenden („Lieber ein Spatz in der Freiheit, als ein Pfau im Zoo“), forderte kompromisslose Qualität und ging manchmal überhart mit sich selbst ins Gericht. Nach den Startschwierigkeiten seines Herzkasperl-Programms wurde diese Figur zum Kult: „Man sitzt und staunt, wird hin- und hergebeutelt, man lacht und ist betroffen von diesen Marathonsitzungen, die fast schwarzen Messen gleichen“ (Demmelhuber, 2011, S. 11).

„Er [der Kasperl] ist ein Anarchist, einer der keine Bomben schmeißt, sondern dessen Kopf eine Bombe ist. Das aber, das Wahnsinnige, das nicht mehr Einzuordnende bringt seine Umwelt in Panik, löst ihre mühsam sublimierten Aggressionen unverschleiert aus und zwingt sie in ihrer Angst den Hans-Wursten – den Anarchisten zu erdolchen und sich selbst noch härtere Regeln zu verordnen, stärkere Feindbilder aufzustellen.“

(Demmelhuber, 2011, S. 15, aus Jörg Hubes Sammlung „Herzkasperl – Gedanken, Ideen, Konzepte, Technisches“)

Offensichtlich war Jörg Hube jemand, dessen Gedanken nicht nur um sich selbst kreisten, sondern ein sehr genauer, gesellschaftskritischer Beobachter. In Erinnerung an den herausragenden Künstler, der heute, am 22. November, 79 Jahre alt geworden wäre, sei exemplarisch auf das Buch und die Radio-Collage von Eva Demmelhuber verwiesen.

Jörg Hube, ein Künstlerleben – Collage zum 10. Todestag auf Bayern 2

Literatur:

Demmelhuber, E. (Hrsg.) (2011). Jörg Hube – Herzkasperls Biograffl. Ein Künstlerleben. LangenMüller.

Trawöger, N. (2021). Spiel. Kremayr & Scheriau.

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