Juli 15, 2022

Kulturkompetenz

Menschliches Leben bis hin zum Überleben setzt u. a. Kulturkompetenz voraus (vgl. Erpenbeck, 2003, S. 243). Im Verständnis von Kultureller Bildung ist damit sowohl ein reformpädagogischer, ganzheitlicher Lernansatz mit allen Sinnen (vgl. Stute & Wibbing, 2018, S. 99), als auch die übergreifende interkulturelle Kompetenz in Zeiten der Globalisierung und Migrationsbewegungen gemeint.

(Quelle: Erpenbeck, 2012, S. 22)

Bourn (vgl. 2018, S. 165) verweist auf die wachsende internationale Bedeutung von interkulturellen Kompetenzen in der Lehrerbildung und bewertet die “Skills for Cultural Understanding“ (ebd., S. 78) als eines der drei Themen in Bezug auf die globalen Fähigkeiten im 21. Jahrhundert. Im föderalen deutschen Bildungssystem wird Kulturelle Bildung nur vereinzelt in die allgemeine Lehrerbildung integriert (vgl. Rat für Kulturelle Bildung, 2017, S. 16). Kulturelle Bildung erschöpft sich dabei keineswegs in den künstlerischen Fächern wie Musik, sie kann durchaus für sämtliche Lernbereiche genutzt werden und gilt als Teil der Allgemeinbildung (vgl. Schulz & Zimmermann, 2005, S. 11). Zudem wurde das Recht auf Kunst und Kultur in der UN-Kinderrechtskonvention verankert (vgl. ebd., S. 17).  

Da Unterricht in seinem Kern performatives Handeln evoziert, gelten Lehrende per se als performative Akteur*innen (vgl. Rat für Kulturelle Bildung, 2017, S. 16), wobei sich eine deutschlandweite Basisqualifizierung in performativen Bereichen wie dem Auftreten und Darstellen noch nicht etabliert hat (vgl. ebd., S. 33). So ist Kulturelle Bildung als schulische Querschnittsaufgabe bisher eher in Fortbildungsmaßnahmen zu finden (vgl. ebd.). Als Beispiel, wie interkulturelle Kompetenzen erworben werden können, nennt Erpenbeck (vgl. 2012, S. 23) Theaterprojekte. Eine häufige Herausforderung bei der Umsetzung besteht für Lehrkräfte im Umgang mit spontanen, sprudelnden Ideenquellen von Schüler*innen (vgl. Lenakakis, 2004, S. 136), was zum einen ein streng planbares Vorgehen verhindert. Andererseits wird das lebenslange Lernen (vgl. Dohmen, 1996, S. 33) gefördert und ein knisternder Dialog im Sinne Rosas (2016) Resonanzpädagogik zugelassen. Es kann eine offene Begegnung zwischen Lehrenden und Lernenden entstehen, welche den freien Blick auf Potenziale, Ängste, Verweigerungshaltungen oder Wünsche eröffnet und kreative Kräfte freisetzt (vgl. Lenakakis, 2004, S. 136). Ein Prozess, der gleichermaßen als Aktive*r wie auch als Zuschauer*in wahrgenommen werden kann (vgl. ebd., S. 137). Diese wechselnde Perspektive ist über das Darstellende Spiel hinaus ebenso interdisziplinär möglich.

Für das theatrale Lernen gilt „die (inter-)aktive Aneignung von Welt im Kontext der Auseinandersetzung mit der eigenen Person und dem (den) anderen“ (Köhler, 2017, S. 149) als Prämisse. Ohne reale Konsequenzen können auf diese Weise neue Handlungsoptionen spielerisch ausprobiert und zusätzlich körperlich erfahrbar gemacht werden (vgl. ebd., S. 151). Unterricht gleicht laut Köhler (vgl. ebd., S. 156) einem inszenatorischen Akt, in dem der performative Prozess von Lehrer*innen auf die Lernenden wirkt und umgekehrt. Der punktuelle Einsatz von theatralen Übungen oder Techniken im Unterricht ist möglich aber weniger empfehlenswert, da eine grundlegende pädagogische Haltung dazu gefragt ist, welche selbstgesteuerte Lernprozesse anregt (vgl. ebd., S. 170). Theatrales Lernen kann also ein Schlüssel für den bedachten Zugang zu allen Fächern sein (vgl. ebd.). Somit übernimmt die Kulturelle Kompetenz im Zuge der Globalisierung die Funktion einer Schlüsselkompetenz (vgl. Schmidt, 2012, S. 145). Mittlerweile wird von mehreren Seiten für ein institutionalisiertes Standardangebot von Kultureller Bildung in Form einer fächerübergreifenden Grundausbildung für Lehrende plädiert (vgl. Rat für Kulturelle Bildung, 2017, S. 34). 

Literatur:

Bourn, D. (2018). Understanding Global Skills for 21st Century Professions. Palgrave Macmillan.

Dohmen, G. (1996). Das lebenslange Lernen. Leitlinien einer modernen Bildungspolitik. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie.  

Erpenbeck, J. (2003). KulturKompetenz. Kultur, Werte und Kompetenzen. In K. Bering, J. Bilstein, & H. P. Thurn (Hrsg.), Kultur – Kompetenz. Aspekte der Theorie, Probleme der Praxis (S. 224–244). Athena.

Erpenbeck, J. (2012). Was >>sind<< Kompetenzen. In W. G. Faix (Hrsg.), Kompetenz. Festschrift Prof. Dr. John Erpenbeck zum 70. Geburtstag. Band 4 (S. 3–57). Steinbeis-Edition.

Köhler, J. (2017). Theatrale Wege in der Lehrer/innenbildung. kopaed. 

Lenakakis, A. (2004). Paedagogus Ludens. Erweiterte Handlungskompetenz von Lehrer(inne)n durch Spiel- und Theaterpädagogik. Schibri.

Rat für Kulturelle Bildung (2017). Qualitätssicherung Kultureller Bildung in der (Ganztags)Schule. Studie: Bestehende Strukturen, Desiderate und Zukunftsoptionen. https://www.flipsnack.com/RatKulturelleBildung/qualit-tssich-kultureller-bildung-in-der-ganztags-schule/full-view.html

Rosa, H. (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp. 

Schmidt, S. J. (2012). Kulturelle Kompetenz als Schlüsselkompetenz. In H. Bockhorst, V.-I. Reinwand, & W. Zacharias (Hrsg.), Handbuch Kulturelle Bildung (S. 142–145). kopaed.

Schulz, G. & Zimmermann, O. (2005). Kulturelle Bildung und Bildungsreform. In M. Fuchs, G. Schulz & O. Zimmermann (Hrsg.), Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion (S. 9–154). Deutscher Kulturrat.

Stute, D., & Wibbing, G. (2018). Kulturelle Bildung und Unterrichtsentwicklung. In M. Fuchs, & T. Braun (Hrsg.), Kulturelle Unterrichtsentwicklung. Grundlagen – Konzeptionen – Beispiele (S. 97–111). Beltz.

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