Am 20. September 1897 schrieb Virginia O’Hanlon an die Zeitung „The New York Sun“:
„Ich bin acht Jahre alt. Einige von meinen Freunden sagen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Papa sagt, was in der „Sun“ steht, ist immer wahr. Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit: Gibt es den Weihnachtsmann?“
Virginia O’Hanlon, 115 West Ninety-fifth Street
Der Redakteur Francis P. Church antwortete im Leitartikel auf der Titelseite:
„Virginia, Deine kleinen Freunde haben Unrecht. Sie glauben nur, was sie sehen. Sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem begrenzten Verstand nicht erfassen können. Aller Menschengeist ist klein, ob er nun einem Erwachsenen oder einem Kind gehört. Im Weltall verliert er sich wie ein winziges Insekt. Solcher Ameisenverstand reicht nicht aus, die ganze Wahrheit zu erfassen und zu begreifen.
Ja, Virginia, es gibt einen Weihnachtsmann.
Er existiert so zweifellos wie Liebe und Großzügigkeit und Zuneigung bestehen – und Du weißt, dass sie reichlich vorhanden sind und Deinem Leben seine höchste Schönheit und Freude geben. Wie trübsinnig wäre die Welt, wenn es keinen Weihnachtsmann gäbe! So trübsinnig als gäbe es keine Virginia, keinen Glauben, keine Poesie – nichts von dem, was das Leben erst erträglich macht. Ein Flackerrest an sichtbarem Schönen bliebe übrig. Aber das ewige Licht der Kindheit, das die Welt erfüllt, müsste verlöschen. Nicht an den Weihnachtsmann glauben? Dann könntest Du ebensogut nicht an Märchen glauben. Gewiss, Du könntest Deinen Papa bitten, er solle am Heiligen Abend Leute ausschicken, den Weihnachtsmann zu fangen. Und keiner von ihnen bekäme den Weihnachtsmann zu Gesicht – doch was würde das schon beweisen? Kein Mensch sieht ihn einfach so. Das beweist gar nichts. Die wichtigsten Dinge im Leben bleiben meistens unsichtbar. Die Elfen zum Beispiel, wenn sie auf Mondwiesen tanzen. Trotzdem gibt es sie.
All die Wunder zu denken, geschweige sie zu sehen, das vermag nicht der Klügste auf der Welt. Du kannst ein Kaleidoskop aufbrechen und nach den schönen Farbfiguren suchen. Du wirst einige bunte Scherben finden, nichts weiter. Warum? Weil es einen Schleier gibt, der die wahre Welt verhüllt, einen Schleier, den nicht einmal alle Gewalt auf der Welt zerreißen kann. Nur Glaube, Poesie und Liebe können ihn lüften. Dann ist die überbordende Schönheit und Herrlichkeit dahinter auf einmal zu erkennen.
‚Ist das denn auch wahr?‘, kannst Du fragen. Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer und nichts ist beständiger. Der Weihnachtsmann lebt, und er wird ewig leben. Sogar in zehnmal zehntausend Jahren wird er da sein, um Kinder wie Dich und jedes offene Herz zu erfreuen.
Frohe Weihnacht, Virginia!
Dein Francis Church“
Der Briefwechsel war bei den Lesern so beliebt, dass man ihn bis zur Einstellung der Zeitung 1950 immer zu Weihnachten auf der Titelseite abdruckte. Blätter in der ganzen Welt führten die Tradition danach fort. Er wurde zum meistgedruckten Zeitungsartikel aller Zeiten.
Foto: Private Legacy V.O’Hanlon/The New York Times